"Weißt du, dass Liebe verrückt ist?" - aus der Reihe "Hoffnung für die Liebe" - dies ist der 5.Teil! Erscheinungsdatum: 20.3.2025

Kapitel 1

 

Thomas

 

Toni, Antonia Morbach, war eine wunderschöne Braut. Sie strahlte über das ganze Gesicht und die Augen leuchteten, wenn sie Jan ansah.

Thomas stand neben der geschmückten Kutsche und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Wenn er sich damals im Griff gehabt hätte, wenn er nicht alles falsch gemacht hätte, könnte er anstelle seines Freundes Jan als ihr Bräutigam dort stehen. Er hatte es vermasselt, wie so vieles im Leben. Allerdings schwang auch Erleichterung darüber mit, dass er nicht der Bräutigam war, weil seine Gefühle für Toni nie für eine glückliche Ehe gereicht hätten. Zudem stand er nun vor seiner zerstörten Existenz, die er selbst verschuldet hatte – aus Naivität und Gier, Ungeduld und Dummheit und dem Drang, etwas beweisen zu wollen –, vor dem Nichts! Und nicht auszudenken, wenn er Toni ebenfalls mit hineingezogen und sie vielleicht sogar ihr Zuhause durch ihn verloren hätte. Es war gut, wie es war!

Er wollte sich nicht damit herausreden, dass er mit zwanzig Jahren viel zu jung für die Leitung des renommierten Gestüts war, das seit Generationen im Besitz seiner Familie lag. Wann und wo war er in seinem Leben falsch abgebogen? Und warum überhaupt? Diese Fragen drängten sich ihm in letzter Zeit häufig auf. Vor allem aber drängte sich ihm die Frage auf, warum er überhaupt jemals so dämlich hatte sein können und den falschen Weg eingeschlagen hatte. Es ist niemand davor gefeit, Fehler zu machen, das wusste er. Sein Leben dermaßen in den Sand zu setzen, dazu gehörte jedoch eine riesige Portion Blödheit. Thomas haderte ständig mit sich selbst. Damit niemandem auffiel, wie er die Braut anstarrte, wandte er sich Julchen, der Haflingerstute, zu und bot ihr ein Leckerli an.

»Hallo, Toni hat mir gesagt, dass wir mit dir mitfahren.«

Die sanfte weibliche Stimme riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Er drehte sich zu ihr um. Die Frau zu der Stimme sah in ihrem türkisblauen Kleid bezaubernd aus. Es brachte ihre weiblichen Rundungen zur Geltung. Ihr brünettes langes Haar fiel in leichten Locken über die Schulter. Mit ihren grüngrauen Augen musterte sie ihn aufmerksam.

»Wenn ihr Tonis Freundinnen aus Schladming seid?«

Fünf andere Personen hatten sich zu der Fragestellerin gesellt und blickten ihn ebenso erwartungsvoll an.

»Allerdings«, erwiderte die sanfte Stimme. »Ich bin Sarah, das sind Lisa, Zoe und Felix und die beiden sind Linda und Simon. Und du bist Thomas, stimmtʼs?«

Ihr freundliches Lächeln traf ihn unerwartet ins Herz. Thomas nickte verlegen. In diesem Augenblick fragte er sich, ob Toni und Jan etwas über ihn erzählt hatten. Ein bedrückendes Gefühl stieg auf. Aber warum eigentlich? Es konnte ihm doch egal sein, was diese Gesellschaft oder ihre Freunde von ihm hielten. Er würde sie nie wieder sehen.

Zum Glück kam nun Bewegung in die Hochzeitsgäste. Das Brautpaar sowie die Trauzeugen schwangen sich auf die Rücken ihrer Pferde. Die Aufstellung der vorgegebenen Reihenfolge des Hochzeitszuges wurde vorbereitet. Die Kutsche, gelenkt von Max, mit dem alten Morbach, dessen Freundin Rosalie und Jans Eltern fuhr als Erste. Danach reihten sich das Brautpaar und die Trauzeugen auf ihren Pferden ein, der nächste Platz war für seine Kutsche bestimmt. Seine Gäste nahmen ihre Plätze ein. Dann folgte die große Kutsche mit Stefans Lebensgefährtin Julia, ihrem Sohn Markus, mit Agathe, Christl und weiterem Personal. Einige Angestellte ritten selbst und bildeten den Abschluss.

Thomas horchte in sich hinein. Was fühlte er, als er Toni in ihrer Schönheit dort auf ihrem stattlichen Amigo sitzen sah? Liebte er sie noch? Nein, das nicht. Sie war nie sein Typ gewesen. Er hätte sie damals nur wegen des Besitzes der Morbachs geheiratet. Das Kapitel konnte er getrost abschließen. Ob er jemals eine Frau finden würde, bezweifelte er. Einen Versager wie ihn brauchte niemand. Darüber konnte nicht einmal der festliche Kutscher-Dress, den er von Toni für den heutigen Anlass bekommen hatte, hinwegtäuschen. Außerdem hatte er eine Menge Affären hinter sich. Leider war keine Frau dabei gewesen, die sein Herz berührt hätte. Schnell schob er diese unliebsamen und unnötigen Gedanken beiseite.

Er nahm auf dem Kutschbock seinen Platz ein. Langsam setzte sich der ganze Tross in Bewegung. Thomas konzentrierte sich auf die Pferde, damit sie ruhig blieben und sich dem vorgegebenen Tempo anpassten.

Immer wieder flogen Wortfetzen seiner Passagiere zu ihm. Sie unterhielten sich bestens und klangen vertraut und freundschaftlich verbunden. Er hatte niemanden mehr, keine Freunde. Die Freundschaft zu Jan, den er seit ihrer Kindergartenzeit kannte, hatte er mit Füßen getreten und durch sein Handeln zerstört. Jan würde ihm das niemals verzeihen und er konnte es ihm nicht verdenken.

Die Angestellten des Ferienhofes und des Lindenhofes begegneten ihm mit spürbarem Argwohn. Sie waren sich seiner unrühmlichen Vergangenheit bewusst, und es wurde ihm unmissverständlich ins Gesicht gesagt, dass er hier nicht willkommen war. Ihr Unverständnis darüber, warum Toni ihm so großzügig einen Job angeboten hatte, war deutlich zu spüren. Schließlich trug er die Verantwortung für den Tod ihrer Eltern.

Thomas nahm die Leinen an und stoppte die Pferde mit einem »Brrr, stopp«.

Einige Nachbarn sperrten den Weg ab. Ein Brauch, der in dieser Region weit verbreitet war, wie ihm Toni bereits vorab erzählt hatte.

Das Brautpaar und einige Hochzeitsgäste begaben sich zu den Leuten, die ein dickes Seil über die Straße spannten. Mit Musik, fröhlichem Gejohle und lautem Lachen wurden sie in Empfang genommen.

Thomas blieb bei den Pferden. Er gab ihnen Leckerli, ohne auf das ganze Theater, das sich abspielte, zu achten. Nach einer Viertelstunde war der Spuk vorbei und sie konnten die Fahrt zur Kirche fortsetzen. Hundert Meter weiter stand der ganze Tross abermals. Eine neue Gruppe hatte sich versammelt, um der Hochzeitsgesellschaft auf dem Weg zur Kirche ein Hindernis in den Weg zu stellen. Wenn dies so weiterging, schaffte das Brautpaar ihr Ziel, in den Hafen der Ehe einzutreten, nicht so rasch.

Endlich kamen sie voran. Der Kirchplatz war von Schaulustigen bevölkert, einige gratulierten dem Brautpaar. Der alte Morbach führte Toni schließlich in die Kirche.

Thomas behielt die Tiere im Auge. Max und ein weiterer Angestellter blieben ebenso bei ihren Pferden. Die Tiere schnaubten und traten unruhig mit den Hufen auf den Boden. Daher reichten sie ihnen Eimer mit Futter, die sie den Pferden umhängten, um sie zu besänftigen. Schließlich setzte sich Thomas auf den Kutschbock.

Max versorgte Amigo und Sultan, die an der Hochzeitskutsche angebunden waren, und ging zu den beiden Stallburschen des Lindenhofs, Janosch und Igor. Die beiden ignorierten Thomas und zeigten ihm die kalte Schulter. Sie ließen es ihn spüren, dass sie mit ihm nichts zu tun haben wollten. Jeglichen Blickkontakt vermieden sie und signalisierten deutlich, dass sie kein Interesse an einer Unterhaltung mit ihm hatten. Es war, wie es war, das hatte er sich selbst zuzuschreiben.

Thomas schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Einsamkeit umschloss ihn. Trotzdem verstand er ihr Handeln nur zu gut. Es war kein Geheimnis, dass er sich in der Vergangenheit mies verhalten und sich dadurch viele Feinde gemacht hatte. Stolz war er darauf nicht. Natürlich nahm er sich vor, sich zu bessern. Er wollte einer von den Guten werden. Ha, wie das klang. So ein Schmarrn! Niemand würde ihm je wieder vertrauen! Er vertraute sich selbst nicht, wie sollte es dann jemand anderes tun? Nur die Pferde waren anders. Sie gingen auf ihn zu, ließen sich von ihm streicheln, mit Leckerlis verwöhnen und gehorchten ihm aufs Wort.

Die Kirchentüren öffneten sich und die Angestellten der Morbachs traten heraus und bildeten ein Spalier. Die Trauung war zu Ende. Das Brautpaar folgte und wurde mit Reis beworfen. Das sollte Glück bringen. Thomas bezweifelte dies.

Jetzt ging es zum Ferienhof, wo in den letzten Tagen alles für das Fest vorbereitet worden war. Bei den Vorbereitungen hatte er ebenso mitgeholfen. Den Vierkanthof schmückten bunte Blumen, an den Fenstertrögen, in hohen Vasen, die beidseitig der Eingangstür gestellt worden waren. Sogar an den Wänden und quer über den Hof von einer Hauswand zur nächsten spannten sich Blumengirlanden. Für seinen Geschmack war das übertrieben. Aber gut, wenn es Toni und Jan gefiel, konnte es ihm egal sein. Hufgetrappel und das Rattern der Kutschenräder hallten im Hof wider. Typischer Pferdegeruch breitete sich aus und hing in der Luft. Stimmengewirr mischte sich dazu. Nur langsam löste sich der Rummel auf, die Gäste verschwanden in den Festsaal. Er, Max und Erwin versorgten die Pferde.

»Geht schon mal vor. Ich komme nach, wenn ich hier fertig bin.« Obwohl er von Toni und Jan großzügigerweise zur Hochzeitsfeier eingeladen worden war, wollte er nicht daran teilnehmen. Er wollte sich in sein Zimmer zurückziehen, es würde ihn niemand vermissen.

»Na du«, flüsterte er Julchen, der Haflingerdame zu, bei der er soeben den Zopf ihrer prachtvollen Mähne löste. »So, jetzt fühlst du dich sicher besser. Bist ein braves Mädchen.«

»Redest du mit dem Pferd oder führst du Selbstgespräche?« Jan stand auf einmal hinter ihm. Er hatte ihn nicht kommen gehört. Thomas blieb ihm die Antwort schuldig.

»Was ist?« Der Ton kam sehr unwirsch rüber.

»Das Essen wird gerade serviert und ich wollte vermeiden, dass du dich vor der Feier drückst.«

»Mit niemanden sprechen und blöd auf die Wand gaffen, kann ich auch im Zimmer. Warum soll ich mir das antun? So ein Vergnügen ist das für mich nicht, das kannst du mir glauben.« Die Worte kamen schneller, als Thomas beabsichtigt hatte. Jan hatte an dem ganzen Schlamassel, in dem er sich befand, am wenigsten Schuld. Thomas drehte sich zur Seite und streichelte die Stute am Hals.

Jan kam einen Schritt auf ihn zu und blieb stehen. »Thomas, komm bitte, auch wenn es dir schwerfällt. Du würdest mir eine Freude machen. Toni hat dich extra zu ihren Freundinnen gesetzt, mit denen du bereits mit der Kutsche gefahren bist.« Jan rührte sich keinen Millimeter. Wie hartnäckig sein Freund, na ja eher Ex-Freund, sein konnte, wusste er seit Jahren. So gab er schließlich nach.

»Wegen mir sollst du nicht deine eigene Hochzeit verpassen. Von mir aus esse ich etwas und haue direkt danach ab, nur zur Information.«

Jan grinste ihn frech an und ging voraus. Thomas folgte ihm missmutig.

 

Die Geräuschkulisse im Saal strömte ihm beim Betreten entgegen. Das Klirren von Gläsern mischte sich mit dem Stimmengewirr der Gäste, die sich angeregt unterhielten. In der Luft lag der Duft von frisch zubereiteten Speisen. Die Kellner liefen geschäftig zwischen den Tischen hin und her. Lachen und fröhliche Stimmen vermischten sich mit dem leisen Hintergrundgeräusch der Band, die sanfte Melodien spielte. Eine lebendige, pulsierende Atmosphäre, die den Raum mit Leben erfüllte, umfing ihn. Nur er gehörte nicht hierher! Die Blicke mancher folgten ihm, als er hinter Jan an den Tischen vorbeiging.

 

***

 

Sarah

 

Sarah lauschte der Anekdote, die ihre Freundin Lisa gerade erzählte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Jan, der zusammen mit Thomas Wegener auf sie zusteuerte. Der Mann mit dem dunklen Haar, dem Dreitagebart und den eindringlichen schwarzen Augen machte auf sie keineswegs den Eindruck eines Kriminellen oder jemandem mit bösen Absichten. Im Gegenteil, sie fand ihn äußerst attraktiv und anziehend, ganz egal, was Toni ihr über ihn erzählt hatte. Vielleicht machte gerade das den Reiz aus: die Verbindung zwischen ihm und Toni.

»Hallo, ich hoffe, euch geht es gut und ihr genießt den Tag?« Jan strahlte über das ganze Gesicht. Jeder konnte sehen, wie glücklich er war. »Ich bringe euch Verstärkung. Nehmt meinen Kumpel in eurer Runde auf, damit er sich nicht ganz verlassen fühlt.« Jan legte Thomas freundschaftlich die Hand auf die linke Schulter.

Ein leichtes Kribbeln und eine gewisse Vorfreude zogen durch ihren Bauch, als Thomas neben ihr Platz nahm. Dieser charismatische Mann gefiel ihr und war ihr bereits bei der ersten Vorstellung ins Auge gestochen. Männer mit dem Bad-Boy-Touch zogen sie extrem an. Sie, die brave Kindergartenpädagogin, hatte eine Schwäche für solche Typen. Sie suchte wohl nach der besonderen Herausforderung, vor allem im Privatleben und in der Liebe. Die große und einzig wahre Liebe hatte sie bislang für Humbug gehalten. Dass sie mit ihren dreißig Jahren noch keinen Partner hatte, lag im Prinzip schon ein Stück weit bei ihr. Ihr Credo, das Leben und die Liebe à la carte zu genießen, lebte sie in vollen Zügen. Auf eine enge Beziehung hatte sie sich bislang nie eingelassen. Da hatte sie immer rechtzeitig die Reißleine gezogen. Vielleicht war dies der schrecklichen Ehe ihrer Eltern geschuldet, die sie hautnah hatte miterleben müssen.

»Ich bewundere dich, wie gut du mit den Pferden umgehen kannst«, sprach sie Thomas einfach an. Sie hob ihr Glas mit Prosecco und hielt es ihm als Aufforderung, mit ihr anzustoßen, vors Gesicht. »Prost, auf einen angenehmen, unterhaltsamen Abend.«

»Prost.« Thomas nahm sein Glas und ließ es gegen ihres klirren. Die anderen am Tisch machten es ihnen gleich.

Die Vorspeise wurde aufgetragen. Thomas kostete vom Shrimps-Salat. Die Gespräche plätscherten angenehm vor sich hin.

»Seit wann arbeitest du für Toni? Als ich sie im vorigen Jahr besucht habe, warst du jedenfalls noch nicht da.«

»Bin auch erst seit kurzem hier.« Thomas blieb mit seiner Antwort vage.

»Deinem Dialekt nach stammst du aus Deutschland. Von wo genau?« So leicht ließ sie sich nicht abwimmeln. Sie rückte sogar mit dem Stuhl ein Stück näher an ihn heran. Der Typ machte sie neugierig. Zumindest schien er eine Sünde wert zu sein. Seine Ausstrahlung zog sie einfach an. Sein ablehnendes Auftreten, seine kühle Art und sein mysteriöses Lächeln ließen ihr Herz schneller schlagen. Was wohl hinter seiner Fassade steckte? Was hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er war? Vielleicht verbarg er Geheimnisse, die es zu entdecken galt. Toni und Jan hatten ihr zwar von Wegeners Vergangenheit erzählt, aber da musste noch mehr dahinterstecken. Ihre Neugierde war geweckt.

»Sei bloß vorsichtig, Sarah. Lass dich von seinem Äußeren nicht täuschen. Er hat eine Menge Dreck am Stecken«, hatte Toni sie gewarnt.

»Und trotzdem arbeitet er für euch?«

»So ist allen geholfen. Er hat einen Job und ein Einkommen und wir endlich wieder genug Personal für die Pferde.«

Vielleicht machte gerade Tonis Warnung sie neugierig? Sarah beschloss, diesem Mann näherzukommen und herauszufinden, was ihn so faszinierend machte. Eine riskante Entscheidung. Sicher. Aber sie war bereit, das Abenteuer einzugehen.

»Von Osnabrück.« Seine Antwort kam zeitverzögert, als wollte er dies nicht preisgeben.

»Oh, das hat mir Jan gar nicht erzählt, nur, dass ihr befreundet seid. Dann kennt ihr euch schon lange?«

»Allerdings. Was hat denn der gute Jan noch so alles ausgeplaudert?«

Ein Schatten zog über sein Gesicht und hüllte seinen Blick in Dunkelheit. Die Augen lagen tief und leer, als ob sie in eine unendliche Finsternis starrten, die keine Hoffnung und Licht bot. Gänsehaut überzog Sarah bei seinem Anblick. Aber noch etwas meinte sie in ihnen lesen zu können. Ein Hauch von Traurigkeit blitzte kurz auf. Melancholie lag für einen Lidschlag auf seinem Gesicht, bevor er sich hinter seiner undurchsichtigen Maske versteckte. Sie hatte ein feines Gespür dafür, wenn es Menschen nicht gut ging. Bei ihren Schützlingen im Kindergarten war diese Gabe oft hilfreich. Nur saß ihr hier kein kleiner Bub gegenüber, sondern ein ausgewachsener Mann. Und was für einer! Sein geheimnisvoller Blick und die düsteren dunklen Augen ließen sie nicht los. Die Anziehungskraft zu ihm war greifbar.

»Was hätte Jan denn erzählen können, das dich anscheinend innerlich aufwühlt?«

»Das ist nicht wichtig. Lassen wir es dabei.«

Er wandte den Blick ab und fixierte einen Punkt in der Ferne.

»Thomas!«

Seine Augen und seine Aufmerksamkeit kehrten zu ihr zurück.

»Jan und Toni haben erzählt, was in der Vergangenheit passiert ist, vom folgenschweren Unfall, an dem du die Schuld trägst. Auch dein Verhalten danach, die Beziehung zu Toni zu beenden, war nicht in Ordnung. Aber ich habe erfahren, dass du dein Zuhause, das Familiengestüt, deine Existenz verloren hast. Das ist eine harte Strafe. Toni und Jan haben dir einen Job gegeben. Das ist ein faires Entgegenkommen. Ein Neuanfang. Sie haben ebenfalls durchdringen lassen, dass du die Arbeiten zur vollsten Zufriedenheit aller erledigst, oft mehr, als du müsstest. Meiner Meinung nach hat jeder Mensch eine zweite Chance verdient. Fehler sind dazu da, um daraus zu lernen. Das sage ich jedenfalls immer zu den Kleinen im Kindergarten.« Sie setzte ein breites Lächeln auf, nahm das Sektglas und prostete ihm zu. Dann trank sie einen Schluck vom perlenden Inhalt.

Erstaunen lag auf seinem Gesicht, bevor es sich zu einer grinsenden Grimasse verzog.

»Du bist entweder verrückt, weil du dich mit so einem Versager wie mir abgibst, auch wenn es nur für die Dauer der Feier ist. Oder du bist naiv. Ich bin kein guter Umgang, für niemanden. Also erspar uns die unnötige Konversation. Außerdem bezweifle ich, dass Jan mich als seinen Freund bezeichnet hat.«

Sie zuckte kurz zusammen ob seiner barschen Worte. Trotzdem empfand sie Mitgefühl mit ihm und seine Abwehr verstand sie sogar. Er war ein gebrochener Mann, der das Vertrauen in sich und in die Menschen verloren hatte. Sicherlich war es so. Vielleicht sehnte er sich sogar nach Liebe, Verständnis und Anerkennung? Stopp! So weit würde sie es nicht kommen lassen. Aber ein kleines Vergnügen konnte nicht schaden. Toni hatte sie vorbereitet und erzählt, dass sie einst mit Thomas zusammen gewesen war und welch böses Spiel er getrieben hatte. Natürlich war sie über diese Informationen schockiert gewesen. Noch mehr hatte sie sich jedoch darüber gewundert, dass sie ihm eine Anstellung gegeben hatte. Als Toni mit der Bitte kam, Thomas zu ihnen platzieren zu dürfen, damit er zumindest etwas Ansprache hätte, kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Umso neugieriger war sie auf ihn geworden.

»Warum so ruppig?«

Soeben wurde die Suppe serviert. Sarah wich etwas zur Seite, damit der Kellner den Teller sicher auf dem Tisch abstellen konnte. Sobald der Kellner gegangen war, wandte sie sich Thomas zu.

»Ein wenig Konversation schmerzt nicht, unterhält und lenkt von so manchen Alltagsproblemen ab. Nachdem du nun weißt, dass Toni mich, beziehungsweise uns alle, über dein Vorleben informiert hat, ist es für uns, aber auch für dich, doch sicher einfacher, der zu sein, der du bist. Du brauchst dich nicht zu verstellen und uns irgendetwas vorzuspielen. Wir machen das im Übrigen auch nicht, dir was vorspielen, meine ich.« Sie blinzelte ihm zu. »Wie du unschwer erkennen kannst, quatsche ich trotzdem mit dir. Werd mal locker. Hey, ich rühre nicht mehr in deiner Vergangenheit herum, keine Sorge. Ich stelle keine blöden Fragen mehr, versprochen, und du erzählst mir, was du möchtest.«

»Hartnäckig auch noch, was?«

»Immer.« Sie gluckste laut. Seine Abwehr bröckelte langsam und Sarah löffelte ihre Suppe. Sie lauschte einem Gespräch zwischen Lisa und Felix, bevor sie sich erneut Thomas zuwandte.

»Felix ist Tierarzt und es gibt bei uns im Dorf für ihn jede Menge Arbeit. Lisa führt einen Gnadenhof für Tiere und rettet sie so vorm Schlachthof. Auch Pferde hat sie. Sie ist eine exzellente Reiterin.« Sie erzählte und erzählte. Ebenso über Linda und Simon, und wie die beiden sich kennengelernt hatten. Ob Thomas tatsächlich zuhörte oder nur so tat, war ihr egal. Sie wollte die triste Stimmung aufheitern. Auf einer Feier sollte es lustig und beschwingt zugehen. Da brauchte es keinen Griesgram daneben.

»Siehst du, ihr habt es alle zu etwas gebracht im Leben. Du brauchst nicht auch noch in offenen Wunden bohren.« Er ließ den Löffel auf den Teller fallen. Sein schroffer Tonfall schreckte Sarah auf.

»Sag, spinnst du? Ich bohre nicht in offenen Wunden! Ich wollte uns alle vorstellen, damit du weißt, wer wir sind, was wir machen. Ist das so schlimm? Ich wollte dich keinesfalls damit bloßstellen. Die Vergangenheit ist vorbei. Blick nach vorne. Du bist ein ausgezeichneter Pferdewirt, oder wie das in euren Kreisen heißt. Zumindest war ich begeistert, wie vertraut du mit den Pferden warst. Wir alle hier haben unsere Fehler gemacht, aber wie schon einmal gesagt, daraus lernt man. Ich schätze dich nicht so ein, dass du das nicht auf die Reihe bekommen würdest.«

»Bravo, danke Frau Lehrerin.«

»Pädagogin, wenn schon.« Sie stupste ihn leicht in die Seite, was ihm ein Lächeln abrang.

Die Teller wurden abgeräumt und der Hauptgang serviert. Sie genoss den Rinderbraten und die Kartoffelknödel.

Linda gab Schmankerln von ihrer Arbeit im Hotel zum Besten, Simon berichtete, dass er endlich die passende Location für die Zweigstelle seiner Firma in Schladming gefunden hatte. Die kleine Zoe ruckelte unruhig auf dem Stuhl. Die Müdigkeit ließ ihre Augen glänzen. Sie lehnte sich an Lisa.

»Komm zu mir, mein Schatz«, sagte Felix und hob seine Tochter auf seinen Schoß, wo sie in wenigen Augenblicken einschlief.

»War wohl alles zu anstrengend für sie.« Sarah schmunzelte beim Anblick des Kindes. »Macht sie sonst auch noch einen Mittagsschlaf?«

»Nein, wo denkst du hin. Du kennst sie doch. Aber sie ist heute schon sehr lange munter. Vor lauter Aufregung hat sie in der Früh dann nicht mehr geschlafen.« Lisas liebevoller Blick ruhte auf dem Mädchen und sie strich ihr sanft über die Wange.

Sarah bewunderte ihre Freundin dafür, wie sie es geschafft hatte, Felix samt seiner Tochter ihr Herz zu schenken und die beiden in ihr Leben mit all ihrer Liebe aufzunehmen. Ob sie selbst fähig wäre, Mutterersatz für ein fremdes Kind zu sein, bezweifelte Sarah, obwohl sie Kinder liebte.