Sweet Christmas - Verliebte Herzen

Hanna liebt ihre Familie, die Alpakas und Schafe und das Leben, wie sie es führt. Der Weltenbummler Lukas schneit in ihr Dasein und wirbelt es mit einer riesen Portion Liebe gehörig durcheinander.

 

Alle Bände der Sweet-Christmas-Reihe:

Verliebte Herzen – Danielle A. Patricks

Glückliche Herzen – Ingrid Fuchs

Verträumte Herzen – Sandra Pulletz

Funkelnde Herzen – Lisa Diletta

Suchende Herzen – Lotte R. Wöss

Fünf Bände - fünf Pärchen - fünf Autorinnen.

Alle Romane der Reihe "Sweet Christmas" handeln zur gleichen Zeit im Ort Funkelstein. Dennoch ist jeder Band für sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Für perfektes Lesevergnügen tauchen manche Protagonisten in anderen Teilen als Nebenfiguren auf.

 

 

Kapitel 1

Hanna


„Guten Morgen Hanna, schon wieder so früh auf den Beinen?“ Der Besitzer des Kiosks grüßte freundlich über die Straße zu ihr herüber, als sie die Tür zu ihrem kleinen Geschäft aufsperrte. Sechs Uhr dreißig und noch stockdunkel. November eben.

„Auch einen schönen guten Morgen, Fredl.“ Hanna schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Du bist ja selbst noch zeitlicher im Dienst als ich.“ Sie rieb sich die Hände.

„Heute ist es für Mitte November schon recht frostig“, stellte sie fest.

„Ja, allerdings, mir frieren die Fingerkuppen fast ab, trotz des neuen Heizstrahlers, den ich geschenkt bekommen habe. Und hast du für Weihnachten wieder Christbaumschmuck gebastelt? Ist schließlich schon in sechs Wochen. Wie die Zeit vergeht.“ Fredl hielt seine Tasse mit beiden Händen umschlossen, aus der es dampfte. Hanna vermutete, dass er seinen Tee wie meistens mit einem ordentlichen Schuss Rum verbessert hatte.

„Ein paar Sachen habe ich bereits, aber einiges muss ich noch herstellen, damit ich den Laden weihnachtlich schmücken kann. Und für den Adventstand beim Christkindlmarkt benötige ich noch mehr Waren. Im letzten Jahr hatte ich zu wenig, das soll mir heuer nicht mehr passieren.“ Hanna zuckte mit der Schulter. „So, jetzt muss ich aber. Bis später, Fredl, und einen schönen Tag“, wünschte Hanna, bevor sie im Laden verschwand. Angenehme warme Luft schlug ihr entgegen. Es roch nach Wolle und Zimt aus der Duftlampe. Die große Tasche, die mit neuen handgearbeiteten Wollsachen vollgestopft war, stellte sie auf dem Verkaufstresen ab. Hier fühlte sie sich wohl. Obwohl der Laden gerade mal knappe dreißig Quadratmeter aufwies, einschließlich Nebenraum für Diverses, hatte sie alles so arrangiert, dass er nie überladen wirkte. Pastellfarben an den Wänden ließen den Raum größer erscheinen. Weiße Regale und Kleiderständer waren mit Wolle oder Wollbekleidung bestückt, die sie und ihre Mutter selbst fertigten. Die Wolle dafür spann meist ihre Oma. Da war für Erwachsene und Kinder alles dabei, vor allem Socken, bunte Pantoffel aus Filz für Große und Kleine, Hauben, Fäustlinge, Schals, Pullis und Capes, alles Einzelstücke und von ihr selbst entworfen. Sie zog einen Strickpullover aus der Wolle ihrer geliebten Alpakas aus der Tasche. Mit den Fingern strich sie über seine Oberfläche, weich und kuschelig fühlte sich diese an. Für das naturfarbene Stück mit dem breiten Zopfmuster würde sich sicherlich bald eine Käuferin finden, davon war Hanna überzeugt. Der Pullover kam zu Cape und Weste auf die Kleiderstange. Später würde sie ihn noch mit einem Preisetikett versehen. Dann befanden sich noch zwei Wollmützen mit Bommel in den Farben indigo-türkis und rot-weiß und drei Paar warme Handschuhe mit denselben Farbabstimmungen in der Tasche. Auch einen grau-blauen Schal hatte ihre Mutter eingepackt. Dieser war nicht gestrickt, sondern gefilzt. Da Filz allerdings steif ist, hatte sie einen bunt gefärbten Seidenstoff eingearbeitet. Dadurch legte sich der Schal leicht um den Hals und ließ sich angenehm tragen. Liebevoll arrangierte sie die Teile in die verschiedenen Regale auf der rechten Seite des Raumes.

Auf der anderen Seite lagen die Wollknäuel. Diese wurden hauptsächlich von ihrer Oma Mathilde, von allen Hilde gerufen, und ihrer Mutter Maria gesponnen. Hier im Ort strickten die Frauen noch sehr gerne und viele kauften bei ihr ein. Die Wolle der Schafe und Alpakas wärmte besonders gut, was bei diesem rauen Klima in der Gegend wichtig war und sie fühlte sich angenehm auf der Haut an.

Hanna sah sich im Raum um. Heute wollte sie endlich damit beginnen, ihn weihnachtlich zu schmücken. Sie liebte Weihnachten und alles, was dazu gehörte. Dazu hatte sie bereits eine Menge an Dekorationsmaterial mitgenommen. Da sie nicht alle Sachen auf einmal hatte tragen können, musste sie nun noch einmal zum Auto laufen, das sie etwas entfernt auf der Rückseite ihres Geschäftes auf dem Parkplatz abgestellt hatte.

Der Hauptplatz des Ortes war Fußgängerzone. An so frostigen Tagen war sie froh über ihren olivgrünen Mantel aus Alpakawolle, den ihre Mutter für sie gefertigt hatte. Die Farbe war dieselbe, wie die ihrer Augen, zumindest behauptete es ihre Mama. Schnell zog sie sich die warmen Handschuhe wieder an und setzte ihre Mütze auf, die sie vorhin ausgezogen hatte.

Der neugierige Fredl war zum Glück gerade eben im Gespräch mit einem Kunden beschäftigt, sonst hätte er sicherlich gefragt, wieso sie noch einmal hinausrannte. Hanna beachtete die beiden nicht weiter. Aus ihrem alten Suzuki SJ 410, Baujahr 1987, der ihr mit seinem Allradantrieb noch immer gute Dienste leistete, holte sie eine große Schachtel aus dem Kofferraum. Ohne den Wagen abzusperren, eilte sie mit der schweren Last zurück in den Laden.

„Nicht so schnell“, hörte sie eine männliche Stimme sagen und spürte sogleich einen leichten Aufprall. Sie befürchtete schon, zu fallen, jedoch fingen sie zwei starke Arme rechtzeitig auf. Sie und der Karton. Zum Glück! Hanna hätte keine Lust gehabt hier vom Gehsteig vor ihrem Geschäft die Kleinteile, die sie für die Weihnachtsdeko so dringend benötigte, zusammen zu sammeln.

„Entschuldigung“, stammelte sie und sah in ein unbekanntes Gesicht. Im Dorf hier kannte sie normalerweise jeden. Was für ein Mann! Wer war er? Ein Tourist? Nein, dafür war es noch zu früh, die meisten kamen erst in der Adventszeit. Und doch! An irgendjemanden erinnerte er sie. Sein Aftershave roch sehr intensiv und war gerade dabei, ihre Sinne zu vernebeln. Im Moment schaffte sie es nicht, darüber nachzudenken. Sie trat vorsichtig einen Schritt zurück.

„Nichts zu entschuldigen“, sagte er und sein strahlendes Lächeln brachte in Hanna einige Saiten zum Schwingen. Zwei ebenmäßig weiße Zahnreihen und tiefblaue Augen vervollständigten das Bild des attraktiven Fremden. „Wo wollen Sie denn mit der Schachtel hin?“

„Hier, in den Laden.“ Sie deutete mit dem Kopf zur Eingangstür. Galant öffnete er diese für sie. Hanna bedankte sich und huschte ins Innere. Als die Tür wieder sachte hinter ihr ins Schloss fiel, atmete sie erst einmal tief durch. Boah! Wer war das gewesen? So ein Prachtexemplar von Mann mit diesen tiefblauen Augen wäre ihr sofort aufgefallen. Jetzt bemerkte sie erst, dass sie sich nicht einmal von ihm verabschiedet hatte. So unhöflich war sie normalerweise nicht. Ihre Knie waren noch weich wie Wackelpudding, stellte sie verblüfft fest. Sie ließ sich doch sonst nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Rasch stellte sie die Schachtel auf den runden Tisch, der im hinteren Bereich des Raumes stand. Vielleicht fiel ihr ja später noch ein, an wen er sie erinnerte. Aufgewühlt, wie sie es von sich nicht kannte, ließ sie sich auf das bequeme platzsparende Zweier-Sofa plumpsen.

Hier befanden sich noch zwei Stühle, alles überzogen mit naturfarbenem Stoff. Wo kam diese Hitze auf einmal her? Ui! Innerlich drohte sie zu verglühen. Bevor das passieren konnte, zog sie sich rasch den warmen Mantel und die Schuhe aus. Den Mantel hängte sie auf den Kleiderständer aus Kirschbaum-Holz, eine Handarbeit ihres Vaters. Er hatte ihn einst für sie gedrechselt. Im Nebenraum schaltete sie den Kaffeevollautomaten ein. Kaffee benötigte sie jetzt am allerdringlichsten. Normalerweise übte die vertraute Umgebung ein angenehmes Gefühl in ihr aus, doch heute war sie noch viel zu verwirrt von der Begegnung mit dem dunkelhaarigen Urlaubsgast.

„Reiß dich zusammen Hanna, so ein Mann hat sicher eine Frau oder Freundin, wahrscheinlich hält er es mit der Treue nicht so genau.“ Der Gedanke ließ sie den Kopf schütteln. Was sie sich wieder zusammenreimte!

Bis der Kaffeevollautomat auf Betriebstemperatur war, öffnete sie die Schachtel und holte goldene Zapfen, Nüsse und Kugeln heraus. Ein sanftes Lächeln huschte beim Gedanken daran über ihr Gesicht, dass bald Weihnachten war und alles strahlen, glitzern und leuchten würde wie in jedem Jahr. Und das nicht nur in ihrem Geschäft, sondern in ganz Funkelstein. Auch die Privathäuser wurden bunt beleuchtet und mit allen möglichen Figuren und Lichterketten dekoriert. Seit Funkelstein als besonderer Weihnachtsort entdeckt worden war und jedes Jahr mehr Besucher von nah und fern anzog, ließen sich die Bewohner einiges einfallen, um den Ort weihnachtlich erstrahlen zu lassen. Wie sie das liebte! Ein bisschen kitschig durfte es da schon sein. Auch wenn ihre Mutter heute Morgen gemeint hatte, dass es doch noch zu früh sei, um das Geschäft zu dekorieren, ließ sie sich nicht davon abbringen. Schließlich war bereits am übernächsten Wochenende erster Advent. Hanna legte die Kugel, die sie in der Hand hielt, beiseite und holte sich einen Espresso. Kaffeeduft breitete sich im Raum aus. Zuerst das dunkle Aufputschmittel! Den Kaffee brauchte sie, um morgens in Fahrt zu kommen. Hanna trank ihn schwarz und ohne Zucker. Autsch! Jetzt hatte sie sich doch glatt die Zungenspitze verbrannt. Das kam davon, wenn man zu gierig war und die Gedanken noch immer einem gewissen Womanizer nachhingen. Bei seinem Aussehen hegte sie keine Zweifel daran, dass er einer war. ‚So, aber jetzt ist Schluss mit diesen konfusen Hirngespinsten‘, ermahnte sie sich. Sie stellte die Tasse neben der Schachtel am Tisch ab. Nun holte sie eine Zweitrittleiter aus dem Nebenzimmer und stellte sie vor einem Regal auf. Neuerlich nahm sie die goldene Kugel von vorhin in die Hand und stieg auf die Leiter. Über den Regalen hatte sie bereits am Vortag eine dünne Schnur gespannt – von einer Wand zur anderen, quer durch den gesamten Geschäftsraum. Hier befestigte sie in regelmäßigen Abständen die Dekoration. Bei jedem Stück, das sie anbrachte, freute sie sich mehr. Stolz betrachtete sie ihr Werk.

Als die kleine Glocke über der Tür klingelte, stolperte sie fast in ihrer Hast, von der Leiter zu steigen. Ihre Freundin Gisela stürmte herein.

„Guten Morgen, hast du kurz Zeit für ein Pläuschchen?“ Noch bevor Hanna antworten konnte, wurde sie von ihrer besten Freundin fest umarmt. Sie drückte sie ebenfalls. Dann servierte sie eine zweite Tasse mit Kaffee für Gisela.

Erstaunt sah sich ihre Freundin im Raum um.

„Wow, du hast schon angefangen mit der Deko! Kann ich dir dabei helfen? Ich habe heute frei und hätte Zeit.“ Gisela arbeitete als Verkäuferin im großen Supermarkt. Ein Job, der ihr, wie sie oft betonte, nicht gefiel, aber für den Lebensunterhalt sorgte.

„Oh, gerne. Das ist dann gleich noch lustiger.“ Hanna freute sich. Auch die neue Ware blieb vor Giselas Augen nicht versteckt.

„Der Pullover ist ja eine Wucht“, jubelte sie begeistert. Sie hielt den naturweißen Strickpulli hoch. „Hast du den gestrickt?“

„Ja natürlich, aus Alpakawolle. Die lässt sich herrlich verarbeiten.“ Hanna lächelte, als sie daran zurückdachte.

„Du hast wirklich Talent.“ Gisela hielt sich das gute Stück vor die Brust und ging damit zum Spiegel. „Ob er mir passen würde?“

Hanna sah zu ihr hinüber. „Die Größe ganz sicher und der Schnitt auch. Die Farbe unterstreicht deinen Teint und die kupferfarbenen Haare. Sieht umwerfend an dir aus.“

Ein Seufzen entwich Gisela. „Irgendwann spare ich auf so ein schickes Teil.“ Es klang wie ein Versprechen, das sie sich selbst gab. Als Verkäuferin verdiente sie nicht gerade die Welt. Nur zu gut verstand Hanna ihre Freundin.

„Oder du wünscht es dir zum Christkind.“ Hanna lächelte ihre Freundin schelmisch an.

„Oh, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Gute Idee“, erwiderte Gisela. Anscheinend, um sich abzulenken, beugte sie sich über den Karton mit dem Dekorationsmaterial, fischte eine goldene Kugel heraus und fragte, wo sie sie aufhängen sollte.

„Wo sie dir gefällt“, antwortete Hanna, die selbst wieder auf der Leiter stand, um einen vergoldeten Tannenzapfen zu platzieren. An den Wänden und sogar an den Regalen schimmerten immer mehr glitzernde Teile, die sie gebastelt hatte.

„Ach ja, hast du schon gehört, dass Lukas wieder im Lande ist?“ In Giselas Stimme klang eine Portion Aufregung mit. Offenbar war dies eine grandiose Neuigkeit. Hanna konnte jedoch nichts damit anfangen.

„Welcher Lukas? Sollte ich ihn kennen?“

„Hanna!“, rief Gisela empört. „Sicher! Erinnerst du dich nicht? Das ist doch der Sohn von unserem Bürgermeister, der in Amerika war und früher hier der Mädchenschwarm schlechthin. Sag bloß, dir hat er nicht gefallen. Das kauf ich dir nämlich nicht ab.“

Hanna überlegte. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Der Lukas! Okay, und er soll wieder hier sein?“ Es erstaunte sie tatsächlich. Plötzlich wurde ihr heiß. Sie hoffte, dass sie nicht rot wurde. Der Unbekannte von heute in der Früh war Lukas! Jetzt wusste sie auch, warum er ihr so bekannt vorgekommen war. Hanna verschwieg, dass sie ihn damals, sie war vierzehn Jahre alt gewesen und er neunzehn, heimlich angehimmelt hatte. Da war sie allerdings eine von vielen gewesen. Früher hatte er seine schwarzen Haare schulterlang getragen, er war ziemlich groß gewesen und seine Figur hatte schlaksig gewirkt. Der Lukas von heute gefiel ihr um einiges besser.

„Genau“, bestätigte Gisela. Sie war um ein Jahr älter als Hanna und hatte damals nur Jungs im Kopf gehabt.

Hanna wunderte es daher umso mehr, dass ihre Freundin immer noch Single war. Letztendlich hatte keine Beziehung auf Dauer gehalten. Hanna selbst war schon damals anders gewesen. Sie träumte von der großen, einzigen, wahren Liebe. An der Meinung, dass sie diese sofort erkannte, wenn ihr der richtige Mann über den Weg lief, hielt sie eisern fest. Natürlich hatte auch sie schon eine Beziehung geführt, allerdings war diese nur von kurzer Dauer gewesen. Der Grund der Trennung lag einfach darin, dass Dietmar, ihr Ex-Freund nicht auf den Hof ziehen hatte wollen. Er verabscheute sämtliche Tätigkeiten am Bauernhof, hasste die Schafe und Alpakas, und das Ausmisten im Stall. Auch der Heuernte hatte er nichts abgewinnen können. Davon bekam er Heuschnupfen. Hanna hingegen liebte die Arbeit in der Natur und ihre Tiere. Niemals würde sie irgendwo anders leben wollen als auf dem Hof. Dietmar war bald nach der Trennung in die Stadt gezogen. Damals war sie knapp achtzehn Jahre alt gewesen. Es war ihre einzige Beziehung geblieben. Hier jemanden kennenzulernen war schwierig. Die meisten jungen Leute zog es nach der Ausbildung in die Welt hinaus. Hierbleiben wollte selten jemand. Auch ihre um vier Jahre jüngere Schwester Bianca studierte in Wien Rechtswissenschaften und sprach nur mehr davon, später einmal die Welt zu bereisen, Auslandspraktika zu absolvieren und sicher nicht hier in diesem Kaff versauern zu wollen, wie sie das Dorf bezeichnete. Deswegen gab es mit ihrer Schwester immer mal wieder Zoff, weil Hanna sie in dieser Hinsicht einfach nicht verstand. Keine zehn Pferde hätten sie von hier weggebracht.

„Wo bist du jetzt wieder mit deinen Gedanken?“

Giselas Frage schreckte Hanna auf.

„Ups, was hast du gesagt? Ich war nur am Überlegen, ob ich von den Zapfenengeln noch mehr basteln soll?“ Die kleine Notlüge musste sein. Sonst hätte Gisela sie ausgequetscht wie eine Zitrone.

„Hm, ich frage mich, wie er jetzt wohl aussieht?“, meinte Gisela. „Ob er noch Single ist? Oder eine Freundin hat? Oder vielleicht sogar verheiratet ist?“

„Redest du noch immer von diesem Lukas? Über kurz oder lang wird er dir sicherlich über den Weg laufen, dann kannst du ihn ja fragen“, neckte Hanna und musste grinsen. Sie würde es jedenfalls tunlichst vermeiden, ihrer Freundin auf die Nase zu binden, dass sie ihm bereits heute begegnet war.

„Ich bin einfach neugierig, aber mehr nicht. Schließlich wäre unsereins sicherlich zu minder für eine Beziehung mit ihm, zumindest wenn es nach seiner Mutter geht. Sie meint ja, sie wäre etwas Besonderes und spielt sich auch dementsprechend auf. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie alle im Geschäft um sie herumscharwenzeln, wenn sie bei uns einkauft. Sie tut gerade so, als wäre sie Bürgermeisterin und nicht nur die Gattin, und bildet sich darauf wer weiß, was ein.“

Jetzt betrachtete Gisela die Engel. Sie sahen tatsächlich niedlich aus und bestanden aus einem Tannenzapfen, das Gesicht war auf eine winzige runde Holzscheibe gemalt, die Arme und Beine waren aus geflochtenen Wollfäden gefertigt. Das Engelshaar und die Flügel bestanden aus gezupfter Wolle.

„Auf jeden Fall musst du von denen noch viele zaubern. Die sehen auf einem Christbaum sicherlich wunderschön aus. Aber sag, gibt es heuer auch wieder diese tollen Adventskalender aus gefilzten Täschchen, die man befüllen kann?“

„Klar, die wollte ich morgen mitbringen. Mama ist noch am Nähen.“ Hanna drehte sich einmal um ihre eigene Achse und begutachtete mit strengem Blick die Dekoration.

„Ich denke, wir können es so lassen. Oder? Dank deiner Hilfe bin ich jetzt doch viel schneller damit fertig geworden als erwartet.“ Weil Gisela so fleißig mitgeholfen hatte, lud Hanna ihre Freundin ins kleine Café gegenüber ein, als dieses öffnete. An die Tür hängte sie das Schild „Komme gleich“ und sperrte ab. Um diese Zeit ließen die Kunden noch auf sich warten. Rosi Fröhlich, die Besitzerin, die Mitte dreißig war, wurde ihrem Namen gerecht. Hanna konnte sich nicht erinnern, die Frau jemals grantig oder unhöflich erlebt zu haben. Sie strahlte ihre Gäste freundlich an und man fühlte sich sofort geborgen und wohl. Gisela und Hanna setzten sich an einen kleinen runden Tisch am Fenster. Von dort konnten sie das Treiben und die Leute draußen am Marktplatz beobachten. Auch hatte sie ihr Geschäft im Blick, sollte doch jemand bei ihr einkaufen wollen. Bei Rosi bestellten sie Grünen Tee mit Zitrone und dazu leckere Früchtekuchen.

„Kundschaft ist heute noch keine dagewesen, oder?“ Giselas Frage ließ Hanna den Kopf schütteln.

„Nein. Zurzeit geht das Geschäft eher mau. Ich weiß auch nicht so recht. Es sind aber noch nicht viele Urlauber hier. Daher hoffe ich, dass es in der Adventszeit mehr werden und es auch kauffreudige Leute hierher verschlägt. Mama und ich haben diesmal sogar neue Sockenkreationen entworfen. Wir haben sie mit Weihnachtsmännern und Rentieren gestrickt. Ich habe mir ein paar freie Muster vom Internet heruntergeladen und diese dann so verkleinert, dass sie als Sockenmuster brauchbar waren. Jedenfalls sehen sie entzückend aus und sind himmlisch warm. Da gibt es keine kalten Füße mehr.“ Hanna vermochte den Stolz nicht zu verbergen. Gisela rieb sich freudig die Hände.

„Also davon kauf ich dir glatt ein Paar ab oder sogar zwei. Die geben ein tolles Weihnachtsgeschenk für meinen Paps ab.“

Rosi hatte am Nebentisch kassiert und setzte sich zu ihnen.

„Ich hab gerade gehört, dass bei dir das Geschäft derzeit eher schlecht läuft. Bei mir kommen die Stammgäste. Aber die Adventszeit wird sicherlich mehr Kundschaft hereinschneien lassen. Deshalb suche ich bereits zwei neue Angestellte, weil die Andrea Hübner im Krankenstand ist und die andere gekündigt hat.“ Rosi seufzte, lächelte dabei aber. „Apropos, du hast neue Ware?“

„Mhm, ja“, nuschelte Hanna im Kauen und schluckte ihr Stück Kuchen hinunter. „Pullover und Socken, mit Rentieren und Weihnachtsmännern.“ Sie lachte. „Die sehen echt cool aus, gefallen mir selber.“

„Oh, da werde ich dir in den nächsten Tagen einen Besuch abstatten, ich brauche ein paar Weihnachtsgeschenke.“ Rosis Lächeln umspielte ihre Augen und brachte sie zum Strahlen. Sie unterhielten sich noch über die kommenden Adventsattraktionen, bis die Tür aufging und neue Gäste eintraten. Rosi stand auf, um sie zu bedienen.